75 Jahre Operation Gomorrha – Barmbek-Süd sah aus wie Eimsbüttel
01. Dezember 2018 André BigalkeNur noch wenige können sich aus eigenem Erleben erinnern, wie es vor dem Sommer 1943 östlich der Alster aussah; aber einige Filme, Fotos und Zeitzeugenberichte geben uns ein Bild davon. Die Gegend unseres Stadtteils war geprägt von verputzten Gründerzeitgebäuden zwischen drei und fünf Stockwerken, wie wir sie noch heute in Eimsbüttel vorfinden, allerdings häufig mit tieferen Hinterhofgebäuden. Die Durchgänge zu diesen sogenannten „Terrassen“ finden sich heute noch z. B. in der Humboldtstraße, häufig im II. Weltkrieg verstärkt als Schutzräume. Während die Neubaugebiete nördlich und östlich (Jarrestadt, Barmbek-Nord, Dulsberg) erst in den Zwischenkriegsjahren mit Klinker-verputzten Betongebäuden bebaut worden waren, standen im heutigen Barmbek-Süd auf Holzkonstruktionen aufgebaute sogenannte Schlitzbauten, die den Raum weitgehend ausfüllten und wenig Freifläche zuließen.
Das sollte sich rächen, als im Sommer 1943 der Nazi- Krieg nach Hamburg zurückkam. Zwischen dem 25. Juli und 3. August 1943, vor ziemlich genau 75 Jahren, griffen die Alliierten mit der „Operation Gomorrha“ die zweitgrößte Stadt des Deutschen Reiches an; die Briten mit über 700 Flugzeugen in den Nächten, die US-Amerikaner mit 300 Flugzeugen am Tage. Wahrscheinlich durch Navigationsprobleme traf es das Stadtgebiet sehr unterschiedlich: Der Westen Hamburgs erlebte nur regionale Zerstörungen; der Südosten Hamburgs mit den dicht bevölkerten Stadtteilen Rothenburgsort, Hammerbrook, Billwärder Ausschlag, Hamm, Horn und Billbrook wurde durch Bomben und einen Feuersturm, eine Feuerböe wie in einem Kamin fast vollständig zerstört. Die Totenzahl wird auf 34.000 geschätzt, die Zahl der Verwundeten in der Literatur mit 125.000 angegeben. Ungefähr die Hälfte der Bevölkerung Hamburgs hatte sein Zuhause verloren, es gab eine gewaltige Flucht aus der Stadt heraus.
Unser Barmbek-Süd traf es hart, aber da der Feuersturm hier ausblieb, konnte Bausubstanz gerettet werden: Alte Gebäude, wie wir sie an Humboldt-, Flotowoder Richardstraße finden, verdanken ihren Bestand vielfach mutigen Besitzern oder den jungen HJ-Brandwachen, die die Brandbomben von den Dächern warfen, bevor sie Schaden anrichten konnten. Die Schilderungen aus dieser Zeit sind erschreckend: Brennende Häuser, aus denen die Bewohner, gerade aus den notdürftigen Luftschutzkellern nicht mehr fliehen konnten. Ein Denkmal auf dem Grünstreifen an der Hamburger Straße verweist auf ein solches Ereignis: Im Luftschutzkeller unter dem Karstadt-Warenhaus, das allerdings an der Ecke zur Adolph-Schönfelder-Straße stand, erstickten 370 Menschen. Suchende, Fliehende und das Letzte retten Wollende prägten das Bild zwischen den Ruinen, denen in der kommenden Nacht der nächste Angriff drohte. Die Stadt war in weiten Teilen Norddeutschlands zu erkennen, nachts wegen des blutroten Himmels, tags wegen der Rauchwolke.
Größere Teile des Stadtteils, in denen Sprengbomben fielen, hatten weniger Glück: Die Gebäude wurden zerstört (das Bild zeigt die Vogelweide von der Wohldorfer Straße aus.), wurden zum Teil noch notdürftig weitergenutzt und dann im großen Wiederaufbau der fünfziger Jahre durch die uns so vertrauten dreistöckigen Klinkerbauten ersetzt. An sehr vielen dieser Gebäude finden sich die Schilder der Aufbauleistung, die Zerstörungsjahreszahl ist fast ausschließlich die 1943, vorherige und nachmalige andere Angriffe auf Hamburg hinterließen nur punktuelle Schäden.
Dieser Aufbau folgte einem anderen städtebaulichen Grundkonzept, das der Hamburger Oberbaudirektor Fritz Schumacher bereits in den Neubauten der zwanziger Jahre östlich und nördlich umgesetzt hatte: Die Gebäude wurden nicht in geschlossenen Gebäudeblöcken entlang der Straßenränder mit kleinen Innenhöfen oder Lichtschlitzen wiederaufgebaut, sondern in aufgelockerter Zeilenbebauung mit Grünstreifen und Durchlüftungsmöglichkeiten für jede Wohnung. Hierzu gehörte auch die Anlage von Parks und einem Grünstreifen, der sich auch als Brandschutz von der Bartholomäusstraße bis zur Adolph-Schönfelder- Straße durchzieht.
Im Zuge des Neuaufbaus wurden auch Änderungen in den Straßenverläufen vorgenommen: Der durchgehende Straßenzug Beethovenstraße – Diederichstraße (heute abknickender Nordteil der Desenißstraße) und Mesterkamp, der Winterhuder Weg und Hamburger Straße verband, wurde aufgegeben; verschiedene Straßendurchbrüche zur Hamburger Straße wurden dann später geschlossen, um auf der freigehaltenen Restfläche das Einkaufszentrum zu errichten.
Das Bild des Stadtteils wurde so gründlich verändert, dass einen bei alten Bildern aus Barmbek-Süd immer wieder der spontane Gedanke durchzuckt, das müsse doch auf der anderen Alsterseite sein.
Wer von der Geschichtswerkstatt Barmbek e. V. an konkreten Orten mehr über die Ereignisse des Sommers 1943 erfahren möchte, ist zu einer Fahrradrundfahrt am Sonntag, 26. August 2018 eingeladen (5 € Beitrag). Treffpunkt: 14.00 Uhr an der UBahn Mundsburg.
Foto: Geschichtswerkstatt Barmbek e. V.